Herr Nürnberg, Sie thematisieren in Ihrem Buch Mitarbeiterbefragungen als wirksames Instrument zur Kommunikation und Mitbestimmung im Unternehmen. Es gibt auch Stimmen, die meinen, dieses Instrument hätte in der modernen Arbeitswelt ausgedient. Warum sind Sie anderer Meinung?
VOLKER NÜRNBERG: Künftig werden Unternehmen von einer Kultur geprägt sein, in der Mitarbeiter in wichtige Entscheidungen eingebunden werden und starre Hierarchien wegfallen. Umso wichtiger ist es zu wissen, wie die Mitarbeiter ticken. Statistiken sagen ganz klar, dass der Verbreitungsgrad von Mitarbeiterbefragungen zunimmt.
Es ist aber auch wahr, dass viele Unternehmen im Zuge ihrer Mitarbeiterbefragungen Ernüchterung erfahren. Vielleicht, weil man sich mehr erwartet hatte. Das zeigt, dass man heute anders an die Sache herangehen muss.
Inwiefern?
NÜRNBERG: Traditionelle Mitarbeiterbefragungen im deutschsprachigen Raum konzentrieren sich in der Regel darauf, „Zufriedenheit“ zu messen, in der Hoffnung, dass sich gute Werte ergeben, oder um schlechte Werte zu verbessern.
Das Problem dabei ist, dass sich die Mitarbeiter selten gehört und wertgeschätzt fühlen. Ich empfehle, nicht nur auf den Status zu schauen, wie bei einer Maschine, und diese zu reparieren, wenn sie nicht richtig läuft, sondern den Fokus darauf zu legen, den Mitarbeitern zuzuhören und herauszufinden, was sie bewegt und was sie denken. Ich sehe in Miarbeiterbefragungen, die den Nerv des Unternehmens treffen, die interaktiv gestaltet sind und deren Ergebnisse schnell verfügbar sind, eine große Chance, um mit den Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen.
Welches sind die typischen Fehler bei der Planung einer Mitarbeiterbefragung?
NÜRNBERG: Zusammenfassend kann man sagen, dass der Erfolg gefährdet ist, wenn die Ziele nicht klar sind oder es zu viele Ziele gibt, keine Abstimmung der Interessengruppen im Unternehmen stattfindet, nicht offen und umfassend laufend über die Befragung kommuniziert wird, aber auch wenn nicht ausreichend Ressourcen für die Befragung und zur Follow-up-Phase zur Verfügung stehen. Entscheidend ist auch, dass die Mitarbeiterbefragung in die Unternehmensstrategie eingebettet ist.
Sind Personaler für die Durchführung einer Mitarbeiterbefragung überhaupt gerüstet?
NÜRNBERG: Die Mitarbeiterbefragung ist kein natürliches Thema für Personalmanager, da hier nur eine indirekte Beschäftigung mit den Menschen im Unternehmen erfolgt. Gute Mitarbeiterbefragungen sind aber genauso gut vorbereitet und strukturiert, wie Personalmanager im besten Fall auch mit einzelnen Mitarbeitern kommunizieren, zum Beispiel bei Einstellungs- oder Austrittsinterviews oder bei Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgesprächen. Das Unternehmen beschäftigt sich zwar im Rahmen einer Befragung mit allen Mitarbeitern, aber zwischen der Leitung und den Mitarbeitern stehen mit den Umfrageergebnissen
zunächst einmal Daten, die besondere Kenntnisse zur Gewinnung und Interpretation benötigen. Gelingt es, diese Daten nicht als Hindernis stehen zu lassen, dann ist eine Mitarbeiterbefragung ein großartiges Werkzeug für die Einbeziehung der Belegschaft: Hier wird den Mitarbeitern im Unternehmen zugehört, um mit
diesen gemeinsam das Unternehmen weiterzubringen und zu entwickeln. Wenn die Anonymität gesichert ist, spricht nichts dagegen, die Daten selbst im Unternehmen auszuwerten. Dafür müssen dann aber auch ausreichend Ressourcen bereitgestellt werden, zum Beispiel im Personalcontrolling, und Kompetenzen in Bezug auf die Struktur von Daten vorhanden sein.
Wie lassen sich Bedenken der Mitarbeiter entkräften?
NÜRNBERG: Die Mitarbeiter hüten einen Schatz an Informationen und Erfahrungen und sie wollen diese in der Regel auch mitteilen. Sie tauschen sich ja auch untereinander aus. Wenn es Widerstand seitens der Mitarbeiter gegen die Befragung gibt, liegt dies oft daran, dass sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Ein
weiterer Grund für Skepsis sind Zweifel an der Vertraulichkeit. Die erhobenen Daten sollten daher nicht personenbezogen und anonym, die Auswertung sollte transparent sein.
Welche Aussagekraft haben die Ergebnisse in Bezug auf die Unternehmensführung?
NÜRNBERG: Die Mitarbeiter und deren Zufriedenheit, die Führung und Kommunikation im Unternehmen sowie weitere weiche Faktoren, die sich nicht direkt messen lassen, spielen neben den harten Ergebnissen und Kennzahlen eines Unternehmens eine entscheidende Rolle dabei, den Unternehmenserfolg nachhaltig sicherzustellen. Es gibt mit dem EFQM-Excellence-Modell einen Rahmen, um den Reifegrad eines Unternehmens im Vergleich zu messen. Dieses umfasst drei Säulen: Führung, Prozesse und Ergebnisse. Die Mitarbeiter können alle drei Elemente gut bewerten. Deren Antworten zu diesen Säulen in Teilbereichen des Unternehmens decken sich fast immer mit dem Bauchgefühl der Unternehmensleitung, in welchen Bereichen die Führung gut oder eben schlecht läuft. Daher hilft eine Befragung entlang eines solchen Modells der Unternehmensführung dabei, die eigenen Stärken und Schwächen sowie Verbesserungspotenziale zu erkennen und diese nachhaltig zu nutzen.
Sollten Führungskräfte die Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung als Arbeitsinstrument nutzen?
NÜRNBERG: Sie müssen! Alle Auswertungen der Ergebnisse nach Bereichen stellen auch eine Bewertung der Führungsleistung und weiterer relevanter Faktoren dar, wie die der Kommunikation und der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen – sowohl im Vergleich zum Gesamtunternehmen als auch im Vergleich zu anderen Bereichen. Diese Daten können als eine Grundlage für die Führungsentwicklung genutzt werden. Dafür brauchen die Führungskräfte aber Unterstützung, insbesondere bezüglich der Reflexion der eigenen Sichtweise im Vergleich zu derjenigen der Mitarbeiter, aber auch für den wertschätzenden und potenzialorientierten Umgang mit dem Team.
Sie schreiben, die Initiative für eine Mitarbeiterbefragung gehe meist von der Unternehmensleitung aus. Warum bringt sich HR hier nicht stärker ein?
NÜRNBERG: Idealerweise geht die Initiative von HR aus. Wenn dies nicht der Fall ist, ist dies leider meist auch Reflexion des Status, den das Personalmanagement im Unternehmen hat. Ein Personaler, der einmal erlebt hat, welcher Schub von einer Mitarbeiterbefragung ausgehen kann, wird es immer wieder tun. Wichtig ist aber, dass
man eigene Berührungsängste zu Zahlen und Daten verliert und lernt, mit diesen die eigene Arbeit zu steuern. Dafür gibt es gute Schulungsangebote und auch hier gilt: Übung macht den Meister.
Vielen Dank für das Gespräch!
• Das Gespräch führte Sabine Schritt.